Bei Müllers sollte die Fete steigen. Die Gäste sind allesamt pünktlich, nur
die Gastgeber fehlen. Zum Glück aber haben Müllers ja einen Garten. Ein Ort, wo
man die Wartezeit verbringen kann. Und der zugleich Gelegenheit bietet, sich
ein wenig näher beschnuppern zu können. Schon das erste Ergebnis aber ist recht
ernüchternd, denn alle – vier Frauen und drei Männer – befinden sich im
fortgeschrittenen Alter. Das solidarisiert natürlich und selbstironisch bekennt
man im gemeinsamen Lied: “Der erste Lack ist ab – wir sind nicht mehr die
Jüngsten!” Das gemeinschaftliche Singen lässt zugleich die üblichen
konventionellen Schranken verschwinden. Man gerät ins Plaudern.
Über die Abwesenheit der Gastgeber wird nur kurze Zeit gemutmaßt. Man nutzt nun
vielmehr die Gelegenheit, sich näher kennenzulernen. Dabei kommt schnell
zutage, dass man einer gemeinsamen Leidenschaft frönt: der Liebe zum Theater.
Regisseur Frank Hohl war gut beraten, dass er dieses vereinende Moment zum
Dreh- und Angelpunkt seiner Inszenierung machte. Denn die Preisgabe
persönlicher Details kann auch nach hinten losgehen. Diese Klippe umschifft die
Regie dadurch, dass die Protagonisten die Gelegenheit bekommen, sich selbst zu
bewerten. So mischt sich Realität mit Fiktion, denn wer das Wort hat, erzählt
natürlich zunächst immer von sich und von seiner Lust am Theaterspiel. Man
erfährt daneben auch allerhand über die unterschiedlichsten beruflichen
Tätigkeiten, die in der Regel weit weg vom Theater stattfanden. Irgendwo im
Inneren verborgen aber schlummerten die Wünsche von einst, unter denen das
Theaterspiel bekanntlich eine dominierende Rolle einnimmt.
Mit “Freude des Alters” haben die Frauen und Männer der Gruppe ihre
aktuelle Inszenierung überschrieben. Der nüchterne Bericht macht den Anfang,
jeder der sieben erzählt mit wenigen Worten, was ihn zum Theaterspiel animiert
hat. Und unisono war in jedem Statement der Wunsch versteckt, auch mit
fortgeschrittenem Alter zu etwas nütze sein zu wollen. Das hat die Regie
berücksichtigt, denn jeder einzelne bekommt im Stück die Chance für ein Solo.
Eine wollte ihr Leben lang schon immer mal das Lied von der
“Seeräuber-Jenny” singen. Nun bekam sie die Gelegenheit. Eine andere
rezitiert Lene Voigt. Die nächste schlüpft in die Rolle des Dummchens Sugar aus
dem Film “Manche mögen’s heiß”. Den absoluten Gipfel erreichen die
sieben Akteure, als sie Müllers Garten in jenen Wald verwandeln, in dem William
Shakespeare einst seinen “Sommernachtstraum” spielen ließ. Dort, wo
Puck die Handwerker verzauberte und sie allerlei dummes Zeug reden ließ. Was
sich auch im Stoßseufzer “Oh Wand, du süße liebenswerte Wand!”
äußerte. Die “Freude des Alters” hatte jedenfalls jede Menge sicht-
und hörbaren Spaß am Theaterspiel. W. Zimmermann iNächste Termine: 27. Jan., 24. Febr.,
www.rudi-dresden.de
dnn, 9.3.12
Karl
Valentin und Liebe im Amt
Ein
Theaterprojekt im Ausländerrat
Was haben eine lebende
Schaufensterpuppe, ein verliebter Sachbearbeiter und ein Döner gemeinsam? Die
Antwort auf diese Frage konnten die Zuschauer bei einem interkulturellen
Theaterprojekt im Ausländerrat ergründen. Unter dem Titel “Deutschland
erfindet sich neu!” hat Regisseur Frank Hohl junge Darsteller, deutsche
und nichtdeutsche, zusammengeführt und über ihre eigenen Erfahrungen zu den
Themen “Heimat”, “Fremdsein” und “Liebe” zu Wort
kommen lassen.
Dies geschah erfreulicherweise ohne jede Larmoyanz und Bitterkeit, sondern
stattdessen mit einem gehörigen Schuss Humor. Die Dramaturgin Kerstin Behrens
hat die jeweiligen Erlebnisberichte nahezu unverändert übernommen und lediglich
auf eine Pointe hin satirisch zugespitzt.
Der Algerier Djoudi Benhacine wird anlässlich seiner Passverlängerung von einer
Behörde zur nächsten weitergeschickt und erlebt dabei eine Odyssee, die nur
noch mit Karl Valentins “Buchbinder Wanninger” vergleichbar ist. Ganz
anders ergeht es Anastazja Zydor aus Polen, die als Zeugin einer Schlägerei
unter Fußballfans von der Polizei vernommen wird. Sie wird sehr zuvorkommend
behandelt, bis sie, das ist eine Angewohnheit von ihr, die deutschen Wörter
“hervorragend” und “enttäuschend” verwechselt. Jörg
Landgraf schließlich in dem Sketch “Liebe im Amt” begleitet als
Beamter eine Antragstellerin (Yasemin Selcuk) auf dem Nachhauseweg (und
vermutlich noch ein bisschen weiter).
Die Bühnenbildnerin Rita Richter hat die humorvollen Minidramen mit einer
sparsamen, minimalistischen Ausstattung versehen. Lediglich Tische und
gespannte Leinwände illustrieren das Geschehen und lassen dem Publikum Raum,
die eigene Fantasie zu entfalten. Auch die Ausstattung mit Requisiten ist
entsprechend spartanisch. Benutzen die Schauspieler einmal Handys und
Handtaschen, so agieren sie im nächsten Sketch rein pantomimisch, etwa wenn
alle beim “Entspannungstanz” eine “imaginäre Flasche
Sternburg” in der Hand halten.
Allen Darstellern gemeinsam ist die Freude am Spiel, an der Bewegung (Pogo und
türkischer Volkstanz) und an einem “Lehrstück ohne Lehre”, das ganz
ohne erhobenen Zeigefinger auskommt. Ein schönes, ein menschliches Stück
Theater. Thomas Fekl
Das H.O.Theater Dresden spielt die Geschichte von Katt und Fredda
So ist das eben mit Freundinnen. Sie mögen sich so sehr, dass sie es sogar
wagen, an einem einsamen Ort fernab der Zivilisation miteinander zu leben. Tag
für Tag beglückwünschen sich Katt und Fredda gegenseitig zu diesem, ihrem
Entschluss. Auch noch, als längst die Routine in den Tagesablauf Einzug
gehalten hat und als sie merken, wie austauschbar ihre Gespräche geworden sind.
Beide verstummen, wirken etwas verlegen. Bis Katt eines Tages so ganz beiläufig
meint: “Es könnte doch mal Besuch kommen !” Fredda reagiert entsetzt,
die Freundinnen beginnen miteinander zu streiten, die Idylle bekommt ihre
ersten Risse. Die breiter und tiefer werden, als urplötzlich Miranda auftaucht.
Ingeborg von Zadows Buch “Besuch bei Katt & Fredda” birgt
allerhand Zündstoff über das unendliche Thema menschlichen Zusammenlebens in
sich. Ein Stoff, der durch seinen Variantenreichtum wie geschaffen schien, für
die Theaterbühne dramatisiert zu werden. Das Dresdner H.O.Theater nahm sich nun
ebenfalls dieser Geschichte an und präsentierte im “Theater unterm
Dach” – ganz oben im Theaterhaus Rudi – in der Regie von Frank Hohl eine
eigene Inszenierung der Geschichte von “Katt und Fredda”.
Diese Fassung macht aus Katt (Katja Pinzer-Müller) und Fredda (Donata Poll)
zwei Stewardessen, die nach einem Flugzeugabsturz an einem einsamen Ort
gezwungen sind, miteinander zu leben. Beide tragen sie die nüchterne Kleidung
ihres Berufs: weiße Bluse und dunklen Rock. Und beide scheinen sich bald mit
ihrer Zweisamkeit in einer Art Notgemeinschaft bestens arrangiert zu haben.
Doch dann klopft Miranda (Victoria Kovacs) an die Tür. Miranda singt und tanzt
und bricht allein schon durch ihre schrille bunte Kleidung die Idylle des Duos
auf. Sie ist zudem ausgesprochen kontaktfreudig und verteilt jede Menge
Komplimente. Vor allem an Fredda, der sie pausenlos versichert, was sie doch
für ein wunderschönes Näschen habe. Diese Schmeichelei wiederum geht Katt mehr
und mehr auf den Geist. So verschieben sich die Fronten mit der Zeit geradezu
zwanghaft. Katt, die schon bald merkt, wie gut Fredda mit Miranda kann, wird
eifersüchtig und setzt alles daran, Miranda wieder loszuwerden. Doch das ist
nicht so einfach, hat Katt doch selbst die Regeln dafür aufgestellt, wie man
einen Besuch behandelt. Die wichtigste lautet: “Der Besuch ist
König!” Womit Miranda ihr später natürlich Paroli bietet, als die
Situation eskaliert. Trotzig erinnert sie Katt: “Der Besuch ist König und
ein König macht, was er will!”
Miranda jedenfalls ist glücklich und bringt das auch immer wieder zum Ausdruck.
Doch die bis dato unzertrennlichen Freundinnen Katt und Fredda scheinen mit der
Situation heillos überfordert. Letztendlich aber schickt Fredda Miranda fort.
Der Konflikt zwischen den beiden aber schwelt weiter. Man macht sich
gegenseitig Vorwürfe. “Jetzt ist sie traurig!”, sagt Katt zu Fredda
und fügt den Vorwurf an: “Du hast sie weggeschickt!” Die vor dem Besuch
geltenden Rituale werden von den beiden zwar wieder aufgenommen, dennoch ist
nun nichts mehr so wie zuvor. Auch wenn sich beide gegenseitig zu trösten
versuchen, sie merken bald, wie einsam man in einer Zweisamkeit sein kann.
Jetzt, wo man weiß, dass es auch andere Möglichkeiten des Zusammenlebens gibt.
Eine überflüssige Dramatik erhält die Geschichte über Katt und Fredda
allerdings durch die konstruierte Ausgangssituation. Der eingangs erwähnte
Flugzeugabsturz wirkt am Ende nur wie Mittel zum Zweck, was die Geschichte aber
gar nicht nötig gehabt hätte. Die ganz real stattfindende Flucht von ganzen
Familien in eine idyllische Einsamkeit als stimmiger Gegenpol zum Stress und
der Hektik städtischen Lebens hätte sicher die logischere Begründung für diese
Flucht in eine Idylle abgegeben. Wolfgang Zimmermann iWieder am 26. Februar, 19 Uhr, im
Theaterhaus Rudi
Donata Poll (Fredda), Heidemarie Ullrich (Miranda) und Katja Pinzer-Müller
(Katt) v.l.n.r. Foto: W. Zimmermann